Narzissmus und Abgrenzung

 

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung zeigt sich (gemäß der amerikanischen Klassifikation DSM) in einem grandiosen Verständnis der eigenen Wichtigkeit. Ihre Verhaltensweise ist reflexhaft, eingeengt, unfrei. Der Betroffene übertreibt seine Leistungen und Talente, er erwartet ohne entsprechende Leistungen, als überlegen anerkannt zu werden. Betroffene Personen sind stark eingenommen von Phantasien ihres grenzenlosen Erfolgs, ihrer Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe und glauben von sich, »besonders« und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder hochgestellten Menschen und Institutionen verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen.

 

Der Narzisst benötigt exzessive Bewunderung wie die Luft zum Atmen und legt ein hohes Anspruchsdenken an den Tag. Er erwartet, dass er automatisch eine besonders günstige Behandlung erfährt und andere auf seine Erwartungen selbstverständlich eingehen müssen. Der Narzisst ist ein Meister der Abgrenzung und zeigt einen Mangel an Empathie: Er ist nicht bereit, die Gefühle anderer wahrzunehmen oder deren Bedürfnisse anzuerkennen oder sich gar mit ihnen zu identifizieren.

 

Der Narzisst ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn. Er zeigt arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Ansichten. Er strotzt nur so von Selbstwertgefühl und ist deswegen äußerst leicht kränkbar, wenn jemand an der Fassade kratzt. Narzissten nutzen andere aus und haben keine echten Freunde. Zwar werden sie oft hoch gefeiert, da sie mit ihrem Charisma aus der Ferne glänzen. Sie sind aber nicht zur Selbstlosigkeit fähig, weshalb sich später viele von ihnen abwenden. Für Narzissten muss alles genau so laufen, wie sie sich das vorstellen. Geschieht das nicht, wird das als persönliche Beleidigung empfunden – und den anderen die Schuld gegeben. Sie bauen ein Bild von sich selbst auf, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Der Narzisst erwartet von der Umwelt, dass sie das Bild akzeptiert, das er sich von sich selbst gemalt hat. Stellt man ihn in Frage, wird er aggressiv, weil er im Grunde unsicher ist.

 

Heinz-Peter Röhr beschreibt den Narzissmus als ein inneres Gefängnis. Im Gegensatz zum Narzissten ist derjenige stabil, der in sich ruht, der sich selbst richtig einschätzt, der keine Icherhöhung nötig hat. Narzissmus nimmt neueren Untersuchungen zufolge zu, wobei Männer häufiger betroffen sind als Frauen.

 

Die meisten Menschen tragen narzisstische Anteile in sich. Diese schaden, besonders wenn sie handlungsentscheidend werden, den Beziehungen und sogar der eigenen Gesundheit. Das Stressniveau ist bei narzisstischen Männern signifikant höher. Das ist logisch: Narzissten leben unsicher, da sie stets Angst haben müssen, dass jemand ihr idealisiertes Selbstbild in Frage stellt. Doch auch unabhängig von dieser Angst sind Disharmonie mit der Umgebung und innere Unruhe vorprogrammiert. Der dauernde Gedanke, dass man von allen anderen um seine Position beneidet werde, kostet viel Energie – ebenso wie umgekehrt der eigene Neid gegenüber dem Umfeld.

 

Nach neuesten Forschungsergebnissen dürfte ein dem Narzissmus genau entgegengesetztes Verhalten die Gesundheit fördern: die Demut. US-Forscher haben jüngst die Vorteile von Demut bei Führungskräften aufgezeigt. Bescheidenes Auftreten, das Zugeben von Fehlern und die Anerkennung der Stärken anderer lassen Chefs demnach effektiver arbeiten und verleihen ihnen Beliebtheit sowie innere Ausgeglichenheit. Manchmal sagt die jahrhundertealte Weisheit genau das, was die Wissenschaft heute »entdeckt«.

 

 

 

Foto von Drew Hays auf Unsplash

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