Whataboutism als pathologische Abwehrstrategie

 

Whataboutism ist weit mehr als ein rhetorischer Trick - in seiner pathologischen Form stellt er einen zentralen Abwehrmechanismus bei verschiedenen Persönlichkeitsstörungen dar, der tief in gestörten Beziehungsmustern und Ich-Strukturen verwurzelt ist.

 

Das pathologische Grundmuster

 

Bei der pathologischen Variante des Whataboutism handelt es sich um eine rigide, automatisiert einsetzende Abwehrreaktion, die nicht der sachlichen Auseinandersetzung dient, sondern ausschließlich dem Schutz eines fragilen Selbst. Die Taktik folgt einem charakteristischen Dreischritt:

 

  1. Wahrnehmung einer narzisstischen Kränkung (Kritik wird als existenzielle Bedrohung erlebt)
  2. Affektüberflutung (Scham, Wut, Verlustangst)
  3. Automatisierte Gegenattacke durch Themenverschiebung

Spezifische Ausprägungen bei verschiedenen Persönlichkeitsstörungen

 

Narzisstische Persönlichkeitsstörung

 

  • Primärfunktion: Schutz des grandiosen Selbstbildes
  • Pathologischer Kern: Abwehr von Schamgefühlen durch Herabsetzung des Gegenübers
  • Typische Dynamik: "Du hast keinen Wert, mich zu kritisieren, weil du selbst mangelhaft bist"

Borderline-Persönlichkeitsstörung

 

  • Primärfunktion: Regulation überwältigender Affekte
  • Pathologischer Kern: Abwehr von Verlassenheitsängsten und intensiver Scham
  • Typische Dynamik: "Ich muss dich angreifen, bevor du mich verlässt"

Dissoziale Persönlichkeitsstörung

 

  • Primärfunktion: Aufrechterhaltung von Macht und Kontrolle
  • Pathologischer Kern: Fehlendes Schuldbewusstsein und Empathiedefizit
  • Typische Dynamik: "Moral ist eine Illusion - also ist deine Kritik bedeutungslos"

Paranoide Persönlichkeitsstörung

 

  • Primärfunktion: Bestätigung des Bedrohungsweltbilds
  • Pathologischer Kern: Projektion eigener Feindseligkeit
  • Typische Dynamik: "Deine Kritik beweist nur deine bösen Absichten"

Die pathologische Dynamik in Beziehungen

 

Whataboutism wird in pathologischer Form zu einem Beziehungsvernichter, der:

 

  1. Emotionale Validierung unmöglich macht: Die Gefühle und Erfahrungen des Gegenübers werden systematisch invalidisiert
  2. Echte Konfliktlösung blockiert: Gespräche enden in endlosen Schleifen wechselseitiger Beschuldigungen
  3. Traumabindungen fördert: Der ständige Rollentausch zwischen Täter und Opfer erzeugt psychologische Abhängigkeit
  4. Realitätsverzerrung schafft: Durch Gaslighting-Effekte verliert das Opfer das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung

Therapeutische Perspektive

 

Aus klinischer Sicht ist pathologischer Whataboutism nicht durch Einsicht korrigierbar, da er tief in der Persönlichkeitsstruktur verankert ist. Therapeutische Arbeit muss hier ansetzen bei:

 

  • Der Förderung von Affekttoleranz
  • Der Entwicklung von Selbstreflexionsfähigkeit
  • Der Arbeit an frühen Bindungserfahrungen
  • Dem Aufbau alternativer Konfliktbewältigungsstrategien

Fazit

Was im politischen Diskurs als rhetorische Unredlichkeit erscheint, zeigt sich in der pathologischen Dimension als Ausdruck schwerwiegender Ich-Strukturstörungen. Whataboutism dient hier nicht der Argumentation, sondern ausschließlich der Abwehr unerträglicher innerer Zustände auf Kosten des Gegenübers. Die Erkennung dieses Musters ist für Therapeuten und Betroffene gleichermaßen crucial, um aus den zerstörerischen Dynamiken aussteigen zu können.

 

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