Wenn du Angst hast, in deiner Partnerschaft offen zu reden

 

Die Ursachen für diese Angst sind oft tief und komplex. Es lohnt sich, sie genauer zu betrachten, ohne gleich nach Lösungen zu suchen.

 

Die Angst, in einer Partnerschaft offen zu reden, ist oft in einer tieferliegenden existenziellen Angst verwurzelt. Im Kern geht es meist um Folgendes:

 

1. Die Angst vor dem Verlust der Bindung (Bindungsangst)

 

Dies ist häufig die fundamentalste Ursache. Sie speist sich aus der unbewussten Befürchtung: "Wenn ich mein wahres Ich zeige – mit all meinen Gedanken, Fehlern und Bedürfnissen – könnte mich mein Partner verlassen." Diese Angst kann aus früheren Erfahrungen stammen (Trennungen in der Kindheit, vorherigen Beziehungen) oder aus einem tiefsitzenden Glaubenssatz, nicht "gut genug" zu sein.

 

2. Die Angst vor der eigenen Verletzlichkeit

 

Offen reden bedeutet, sich zu öffnen. Sich zu öffnen bedeutet, verletzlich zu sein. Diese Verletzlichkeit kann sich anfühlen, als würde man seine schützende Rüstung ablegen, ohne zu wissen, ob der andere einen Stich abfängt. Dahinter steckt die Frage: "Kann mein Partner meine Verletzlichkeit ertragen? Wird er sie behutsam behandeln, oder wird er sie gegen mich verwenden?"

 

3. Die Angst vor der Reaktion des anderen (Kontrollverlust)

 

Wenn du schweigst, behältst du die Kontrolle über die Situation – zumindest scheinbar. Sobald du ein Thema ansprichst, gibst du die Kontrolle über die Reaktion des anderen ab. Diese Angst kann sein:

  • Die Angst vor Wut: Wird er/sie wütend werden? Kann ich diesen Ausbruch ertragen?
  • Die Angst vor Abwertung: Wird er/sie meine Gefühle als lächerlich oder unbegründet abtun?
  • Die Angst vor Schuldzuweisungen: Dreht sich das Gespräch so, dass ich am Ende die Schuld trage?

4. Gelernte Muster aus der Herkunftsfamilie

 

Wie wurde in deiner Familie kommuniziert? Wurden Konflikte offen ausgetragen, totgeschwiegen oder mit subtilen Strafen beantwortet? Oft übernehmen wir das Kommunikationsmuster unserer Eltern: "Bei uns wurde nicht über Probleme geredet" oder "Reden führte immer zu einem großen Drama". Dieses internalisierte Skript läuft in uns ab, sobald wir in einer Partnerschaft eine schwierige Situation erleben.

 

5. Negative Vorerfahrungen in der aktuellen oder früheren Beziehung

 

Diese Angst ist nicht immer "alt". Sie kann sich auch in der aktuellen Beziehung gebildet haben. Vielleicht hast du dich in der Vergangenheit schon einmal geöffnet und die Reaktion war verletzend, abweisend oder invalidierend. Dein Gehirn hat daraus gelernt: "Offenheit = Gefahr". Es ist ein Schutzmechanismus, der dich vor wiederholtem Schmerz bewahren will.

 

6. Der Konflikt zwischen Autonomie und Nähe

 

Ein oft übersehener Aspekt: Indem du deine wahren Gedanken und Bedürfnisse für dich behältst, bewahrst du dir eine Art Autonomie. Sie auszusprechen, bedeutet, sie in den gemeinsamen Raum der Beziehung zu geben und damit deine psychologische Grenze zu verwischen. Das kann beängstigend sein, besonders wenn man die eigene Unabhängigkeit als sehr wichtig empfindet.

 

Im Wesentlichen ist die Angst vor dem offenen Reden ein Überlebensmechanismus. Dein System versucht, dich vor einer (realen oder antizipierten) Gefahr zu schützen – sei es die Gefahr der Ablehnung, der Bloßstellung oder des Verlustes.

Diese Mechanismen zu verstehen, ist der erste und wichtigste Schritt.

 

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