Was macht eine Dysfunktionale Familie aus?

 

 

Eine dysfunktionale Familie zeichnet sich nicht durch gelegentliche Streitigkeiten oder schwierige Phasen aus, die in jeder Familie vorkommen. Stattdessen ist es ein tief verwurzeltes, systematisches Muster von Verhaltensweisen und Dynamiken, die die emotionale, psychische und manchmal auch physische Gesundheit ihrer Mitglieder beeinträchtigen.

 

Der Kern der Dysfunktion liegt oft in mangelnder Gesundheit, Sicherheit und Stabilität, die eine Familie eigentlich bieten sollte.

 

Hier sind die wesentlichen Merkmale, die eine dysfunktionale Familie ausmachen:

 

1. Fehlende oder ungesunde Kommunikation

 

  • Offene Gespräche sind nicht möglich: Konflikte werden nicht gelöst, sondern totgeschwiegen, umgeschrieben oder es wird darum gekämpft, wer "recht hat".
  • Indirekte Kommunikation: Familienmitglieder sprechen nicht direkt miteinander, sondern lassen Botschaften durch Dritte übermitteln ("Sag deiner Schwester, dass...").
  • Passiv-aggressives Verhalten: Anstatt Wünsche oder Ärger offen zu äußern, wird durch Schweigen, Augenrollen, Sarkasmus oder "versehentliches" Vergessen kommuniziert.

2. Ungenaue oder starre Rollen

 

In gesunden Familien sind die Rollen flexibel. In dysfunktionalen Familien werden Mitglieder oft in ungesunde Rollen gedrängt:

 

  • Das Sündenbock: Dieses Kind oder Familienmitglied wird für alle Probleme verantwortlich gemacht. Es ist der "Störenfried" oder "Problemfall".
  • Der Held/Die Heldin: Dieses Kind übernimmt Verantwortung, um die Familie nach außen hin gut dastehen zu lassen. Es ist hochleistungsorientiert, um den Mangel an Stabilität in der Familie zu kompensieren.
  • Das verlorene Kind: Dieses Kind zieht sich zurück, ist sehr still und unauffällig, um keinen zusätzlichen Stress zu verursachen. Es flüchtet sich in Fantasiewelten.
  • Der Maskottchen/Der Clown: Dieses Kind versucht, die angespannte Stimmung durch Albernheiten und Witze zu überspielen und die Familie aufzuheitern.

3. Fehlende Grenzen

 

  • Verschwommene Grenzen: Es gibt keine Privatsphäre. Eltern behandeln Kinder wie Partner oder vertrauen ihnen emotionale Probleme an, für die das Kind zu jung ist (Parentifizierung).
  • Rigide Grenzen: Alles ist streng kontrolliert. Es gibt keine Möglichkeit für individuelle Meinungsäußerung oder Autonomie. Die Regeln sind starr und undiskutierbar.
  • Keine emotionalen Grenzen: Die Gefühle eines Einzelnen bestimmen die Stimmung des gesamten Haushalts (z.B. "Wenn Mama wütend ist, sind alle wütend.").

4. Ungleiche Machtverhältnisse und Kontrolle

 

  • Ein Elternteil ist allmächtig: Die Familie wird autoritär von einem Elternteil geführt, dessen Wort Gesetz ist.
  • Emotionale Erpressung: Es wird mit Liebesentzug, Schuldgefühlen ("Siehst du, was du mir antust?") oder Angst gearbeitet, um Gehorsam zu erreichen.
  • Kontrolle: Entscheidungen über Freunde, Hobbys, Kleidung oder Zukunft werden ohne Rücksprache getroffen.

5. Tabus und Geheimnisse

 

  • "Über Probleme spricht man nicht.": Themen wie Sucht, psychische Krankheiten, Gewalt oder finanzielle Probleme werden totgeschwiegen. Nach außen wird die Fassade der "heilen Welt" aufrechterhalten.
  • Loyalität wird eingefordert: Den Kindern wird eingeschärft, "niemandem etwas von zu Hause zu erzählen". Dies schafft Isolation und Scham.

6. Chronische Konflikte oder völlige Konfliktvermeidung

 

  • Entweder herrscht eine ständige Atmosphäre des Streits, der Vorwürfe und der Anspannung, oder
  • Jeder Konflikt wird um jeden Preis vermieden. Es wird so getan, als ob alles in Ordnung wäre, was zu einem "Giftigen Positivismus" führt, bei dem negative Gefühle nicht erlaubt sind.

7. Sucht- oder psychische Erkrankungen

 

Ein sehr häufiger Grund für Dysfunktion ist die untherapierte Sucht (Alkohol, Drogen) oder eine schwere psychische Erkrankung (z.B. Narzissmus, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depression) eines Elternteils, um die sich die ganze Familienstruktur dreht. Die Familie passt sich der Krankheit an, anstatt sie zu behandeln.

 

Mögliche Ursachen

 

Dysfunktionale Familienmuster entstehen oft über Generationen und werden weitergegeben. Ursachen können sein:

 

  • Unbehandelte Traumata der Eltern
  • Suchterkrankungen
  • Schwere finanzielle Sorgen
  • Psychische Erkrankungen
  • Rigide kulturelle oder religiöse Überzeugungen

Folgen für die Kinder

 

Kinder, die in einer solchen Umgebung aufwachsen, tragen die Muster oft ins Erwachsenenleben:

 

  • Geringes Selbstwertgefühl und Selbstzweifel
  • Schwierigkeiten, gesunde, vertrauensvolle Beziehungen zu führen
  • Ängste und Depressionen
  • Probleme, eigene Emotionen zu regulieren
  • Hohes Risiko, selbst dysfunktionale Beziehungen einzugehen oder suchtkrank zu werden
  • Ein tiefsitzendes Gefühl von Scham und der Überzeugung, "nicht gut genug" zu sein

Wichtig zu verstehen: Der Begriff "dysfunktional" ist keine Verurteilung, sondern eine Beschreibung eines Systems. Viele Familien zeigen in stressigen Zeiten dysfunktionale Züge. Entscheidend ist, ob diese Muster chronisch sind und das Wohl der Mitglieder beeinträchtigen. Die Erkenntnis, in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen zu sein, ist oft der erste Schritt zur Heilung und zum Durchbrechen dieses Kreislaufs.

 

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