Welche Eigenschaften teilen sich die elf Persönlichkeitsstörungen?

 

Die elf Persönlichkeitsstörungen, wie sie im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5. Auflage) klassifiziert werden, teilen bestimmte grundlegende Eigenschaften. Diese gemeinsamen Merkmale sind:

 

1. Tief verwurzelte, unflexible Verhaltensmuster

– Die Störungen äußern sich in starren, wenig anpassungsfähigen Denk-, Gefühls- und Verhaltensmustern.
– Diese Muster weichen deutlich von den kulturellen Erwartungen ab.

 

2. Beginn in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter

– Die Symptome zeigen sich typischerweise schon in jungen Jahren und bleiben über die Zeit stabil.

 

3. Stabile und lang anhaltende Symptome

– Die Störung ist nicht nur vorübergehend, sondern persistiert über Jahre.
– Sie ist nicht ausschließlich auf eine akute psychische Krise (z. B. eine Depression) zurückzuführen.

 

4. Klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigungen

– Die Störung führt zu erheblichen Problemen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen.
– Oft leiden die Betroffenen selbst oder ihr Umfeld unter den Auswirkungen.

 

5. Nicht besser erklärbar durch andere psychische oder medizinische Erkrankungen

– Die Symptome sind nicht Folge einer anderen psychischen Störung (z. B. Schizophrenie), einer Substanzwirkung (Drogen, Medikamente) oder einer körperlichen Erkrankung (z. B. Hirnschädigung).

 

6. Ego-Syntonie vs. Ego-Dystonie

– Viele Persönlichkeitsstörungen sind ego-synton, d. h., die Betroffenen empfinden ihr Verhalten als normal und haben wenig Einsicht in ihre Probleme.
– Einige Störungen (z. B. Borderline-Persönlichkeitsstörung) können auch ego-dyston sein, d. h., die Betroffenen leiden unter ihren Symptomen.

 

7. Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen

– Fast alle Persönlichkeitsstörungen gehen mit Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen einher (z. B. Misstrauen, Abhängigkeit, Instabilität, Rückzug).

 

8. Kognitive, emotionale und Verhaltensabweichungen

– Die Störungen manifestieren sich in Wahrnehmung (z. B. paranoide Denkmuster), Emotionsregulation (z. B. starke Stimmungsschwankungen) und Impulskontrolle (z. B. riskantes Verhalten).

 

Unterschiede zwischen den einzelnen Störungen

 

Während diese Merkmale alle Persönlichkeitsstörungen gemeinsam haben, unterscheiden sie sich in ihrer spezifischen Ausprägung. Das DSM-5 unterteilt sie in drei Cluster:

 

  • Cluster A (Exzentrisch/Ungewöhnlich): Paranoide, Schizoide, Schizotypische PS
  • Cluster B (Dramatisch/Emotional): Antisoziale, Borderline, Histrionische, Narzisstische PS
  • Cluster C (Ängstlich/Vermeidend): Ängstlich-vermeidende, Dependente, Zwanghafte PS

Zusammenfassend teilen alle Persönlichkeitsstörungen chronische, tiefgreifende Muster in Denken, Fühlen und Verhalten, die zu Leid und Funktionsstörungen führen – unterscheiden sich aber in ihrer spezifischen Symptomatik.

 

Gibt es da Unterschiede in der Klassifikation zum ICD-10?

 

Ja, es gibt einige wichtige Unterschiede zwischen der DSM-5- und der ICD-10-Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen (PS). Die beiden Systeme haben unterschiedliche Herangehensweisen, obwohl sie viele Gemeinsamkeiten aufweisen.

 

1. Anzahl und Bezeichnung der Persönlichkeitsstörungen

 

  • DSM-5 listet 10 spezifische Persönlichkeitsstörungen (+ eine restkategorie "Andere näher bezeichnete/nicht näher bezeichnete PS"):
    • Cluster A: Paranoide, Schizoide, Schizotypische PS
    • Cluster B: Antisoziale, Borderline, Histrionische, Narzisstische PS
    • Cluster C: Ängstlich-vermeidende, Dependente, Zwanghafte PS

  • ICD-10 kennt 8 spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60.-) und unterscheidet sich leicht in der Benennung:
    • Paranoide PS (F60.0)
    • Schizoide PS (F60.1)
    • Dissoziale PS (F60.2) (≈ Antisoziale PS im DSM)
    • Emotional instabile PS (F60.3) (mit zwei Subtypen: Impulsiver Typ & Borderline-Typ)
    • Histrionische PS (F60.4)
    • Anankastische PS (F60.5) (≈ Zwanghafte PS im DSM)
    • Ängstliche (vermeidende) PS (F60.6)
    • Abhängige PS (F60.7) (≈ Dependente PS im DSM)
    • Sonstige (z. B. Narzisstische PS, die im ICD-10 nicht als eigenständige Störung aufgeführt ist)

2. Schizotypische Störung im DSM vs. ICD

 

  • Im DSM-5 gehört die Schizotypische PS zu den Persönlichkeitsstörungen (Cluster A).
  • Im ICD-10 wird die Schizotype Störung (F21) nicht als Persönlichkeitsstörung, sondern als eigenständige Diagnose im Bereich der Schizophrenie-Spektrum-Störungen klassifiziert.

3. Narzisstische Persönlichkeitsstörung

 

  • DSM-5 führt sie als eigenständige Diagnose (Cluster B).
  • ICD-10 erwähnt sie nicht explizit, sie fällt unter "Sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen" (F60.8).

4. Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD) vs. Borderline-PS (DSM)

 

  • ICD-10 verwendet den Begriff "Emotional instabile Persönlichkeitsstörung" (F60.3) mit zwei Subtypen:
    • Borderline-Typ (impulsiv, selbstschädigend, Beziehungsprobleme)
    • Impulsiver Typ (aggressiv, reizbar, aber ohne typische Borderline-Symptome)
  • DSM-5 spricht nur von Borderline-PS und hat keine Unterteilung in Subtypen.

5. Dissoziale PS (ICD) vs. Antisoziale PS (DSM)

 

  • Beide bezeichnen ähnliche Störungen (mangelnde Empathie, Regelverstöße, Aggressivität).
  • ICD-10 verlangt keine vorherige Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens in der Kindheit (im Gegensatz zum DSM-5, das dies für Antisoziale PS fordert).

6. Klassifikationssysteme: Kategorisch (DSM) vs. Dimensional (ICD-11)

 

  • DSM-5 bleibt weitgehend kategorisch (entweder hat man eine PS oder nicht).
  • ICD-11 (seit 2022 in Kraft) hat einen dimensionalen Ansatz eingeführt:
    • Statt fester Diagnosen wird der Schweregrad (leicht/mittel/schwer) bewertet.
    • Zusätzlich werden Persönlichkeitsdomänen (z. B. Negative Affektivität, Dissozialität) beschrieben.

Fazit

 

  • ICD-10 und DSM-5 sind sich ähnlich, aber nicht identisch (z. B. fehlt im ICD-10 die Narzisstische PS als eigene Diagnose).
  • ICD-11 geht einen radikal anderen Weg mit Schwerpunkt auf Schweregrad und domänenbasierter Beschreibung.
  • Für die Diagnosestellung ist es wichtig zu wissen, welches System verwendet wird (z. B. in Deutschland meist ICD-10, in den USA DSM-5).

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0