Ich bin Du

 

Im Alltag praktiziert unser Verstand einen permanenten Umwelt-Scan. Alles wird gerastert und bewertet. Dieses Prinzip wenden wir unbewusst auch auf andere Menschen an. Jemand neben uns trinkt mittags Bier und Schnaps. Jemand liest in der Bibel oder im Koran. Jemand hat einen alten unmodischen Pullover an. Jemand raucht. Jemand liegt berauscht in der Ecke. Jemand fährt mit einem Porsche vor. Bei allem haben wir gleich eine Bewertung parat. Was auch immer wir wahrnehmen, sofort neigen wir dazu, uns davon zu trennen. Hier sind wir, dort ist der andere. Selbst in spirituellen Gemeinschaften kann diese Dynamik sehr ausgeprägt sein. Auch hier stoßen wir beispielsweise auf so etwas wie einen Dresscode und damit auf ein Raster, so dass jeder auffällt, der nicht hineinzupassen scheint.

 

Die Praxis des Mitgefühls kann uns sehr dabei helfen, diese Kluft zwischen uns und anderen zu überbrücken. Die nun folgende Übung ist altbekannt, hat aber nichts von ihrer großen Wirkungskraft verloren.

 

 

Übung: Einen Fremden kennenlernen

 

Die Übung sieht so aus, dass wir heute noch jemanden ansprechen wollen, der uns sympathisch erscheint, und ein kurzes Gespräch mit ihm führen werden. Am nächsten Tag werden wir dasselbe mit jemandem versuchen, der uns auf den ersten Blick nicht so sympathisch erscheint. Mit diesem Wechsel fahren wir mehrere Tage fort oder so lange, bis es uns als völlig normal erscheint, mit unseren Mitmenschen ins Gespräch zu kommen.

 

 

Wahrscheinlich tauchen jetzt schon die ersten Zweifel auf oder wir überlegen uns, mit welchen Sätzen wir eine derartige Unterhaltung beginnen können. Als recht hilfreich hat es sich erwiesen, wenn wir zum Beispiel beginnen mit: Ich habe mir vorgenommen, so oft wie möglich einen fremden Menschen anzusprechen. Was halten Sie davon?

 

Natürlich ist das nur ein Vorschlag. Jeder kann sich seinen eigenen Satz zurechtlegen oder auch jedes Mal völlig spontan reagieren. Die Vorschläge möchten dazu anregen, unsere Isolation auf möglichst konkrete Weise aufzulösen. Das Thema Isolation ist ebenso intensiv bedrohlich, wie wir intensiv Mut dafür benötigen, um die Wände zwischen uns und anderen einzureißen. Es sei jedoch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass nur Wände und keine benötigten Schutzwälle eingerissen werden sollen! 

 

 

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