(M)ein Geschenk für den Partner: Wünsche und Bedürfnisse

 

Als A. und S. zu mir ins Coaching kamen wirkte das Paar auf mich recht ratlos. A., die Partnerin von S., war untergründig zornig und machte das auch recht schnell deutlich. Sie seien immer ein glückliches, harmonisches Paar gewesen, berichtete sie. Alles hätten sie zusammen gemacht und das hätte wunderbar geklappt. Nun sei ihr Lebensgefährte S. seit ca. einem Jahr wegen einem Burnout in therapeutischer Behandlung und seit da sei es mit ihnen bergab gegangen. Zunehmend wür-de S. Sachen alleine unternehmen. Das gipfele nun in dem Wunsch ein halbes Jahr ganz wegzugehen und sich alleine auf den Pilgerweg nach Santiago de Compostela zu begeben. 

 

S. ergriff nach einer Weile nur zögerlich das Wort. Er hätte in der Therapie begriffen, dass er zeitlebens und seit früher Kindheit sich ausschließlich nach den (starken) Frauen seiner Umgebung gerichtet hätte. Unbewusst habe er sich immer dominantere Frauen gesucht und sei damit auch durchaus glücklich gewesen, weil er selbst nicht so recht gewusst hätte, was er denn eigentlich selbst wolle. Das hätte sich nach seinem Burnout langsam geändert – seine Wünsche und eigenen Anliegen seien ihm immer deutlicher und bewusster geworden. Schließlich kam der Wunsch bei ihm auf eine gan-ze Zeit für sich alleine zu verbringen – das erste Mal in seinem erwachsenen Leben. Deswegen würde er sich gerne von Frankreich aus auf den Weg nach Santiago de Compostela begeben. 

 

An der Stelle fiel ihm A. ins Wort und teilte uns beiden mit, dass Beziehung so nicht für sie funktioniere. Sie war jetzt noch wütender und erst nach einer Weile wurde klar, warum ihr eigenes Inneres Kind so verletzt auf die Ankündigung von S. reagierte: In ihrer Kindheit hatte ihr Vater, den sie sehr geliebt hatte, aber den sie als „schwachen Mann“ charakterisierte, sie und ihre Mutter verlassen kurz bevor sie in die Schule kam. Danach hatte er sich nur noch sporadisch gemeldet und dann gar nicht mehr. Erst später hatte A. erfahren, dass ihr Vater eine neue Familie gegründet und wieder Kinder gezeugt hatte. 

S. verstand jetzt ihre Angst besser, wollte aber trotz-dem von seinem Vorhaben nicht ablassen. Die Wut von A. wurde zu Traurigkeit und – nach ihren eigenen Angaben – weinte sie das erste Mal ganz offen vor immerhin gleich zwei Männern. In einer zweiten Sitzung akzeptierte sie schließlich widerwillig den Wunsch von S. und die beiden brachen die Beratung zunächst ab, versprachen aber, sich zu einem späteren Zeitpunkt erneut einzufinden. 

 

Tatsächlich meldeten sich die beiden nach einem dreiviertel Jahr später wieder. Bei unserem ersten Termin glaubte ich fast zwei neue Menschen vor mir zu haben: S., braungebrannt, sehr entspannt, sicher und selbstbewusst, und A., die deutlich weicher, aber auch unsicherer und verletzbarer wirkte. S. hatte seinen Plan tatsächlich durchgezogen und sprühte nur so vor Energie. Voller Lebendigkeit erzählte er von seinem Pilgerweg und den Menschen, die er dort getroffen hatte. Auf dem Weg sei ihm bewusst geworden, wie sehr er A. liebe und hatte sich neu und mit großer innerer Sicherheit für sie entschieden. A. reagierte verunsichert und gab offen zu, dass ihr die neue Selbstsicherheit von S. ein wenig unheimlich sei. Trotz-dem fände sie ihn jetzt deutlich attraktiver als jemals vorher und würde spüren, dass sich S. jetzt erstmals so richtig reinhängen würde in ihre Beziehung: Voller Überzeugung diesmal und mit eigener Initiative und Dynamik. 

 

Was bei den beiden als Krise und vollkommene Neudefinition ihrer Beziehung angefangen hatte bekam ein fantastisches Happy End! Es war kein leichter Lernprozess gewesen, aber beide lernten nun ihre Bedürfnisse und Gefühle zu artikulieren und in ihre Beziehung einzubringen. Was am Anfang – wie fast immer in solchen Situationen – wie eine schwere Beziehungskrise gewirkt hatte wurde nun zur Bereicherung und Stärkung ihrer Partnerschaft: A. und S. installierten nach unserer Beratung einen regelmäßigen Austausch über das, was jeder von ihnen beiden brauchte und sich wirklich wünschte. Dabei lernte sie offen zu bleiben und die Wünsche des anderen zu hören und zu akzeptieren, auch wenn sie ihnen zunächst einmal Angst einjagten. 

 

Marshal Rosenberg, der Begründer der Non-Violent Communication (NVC) hat einmal festgestellt, dass unsere Bedürfnisse Geschenke an den Partner sind. Letztlich kann man das beliebig ausweiten und sagen, dass unsere Bedürfnisse immer Geschenke sind für alle Menschen in unserem Umfeld, so auch am Arbeitsplatz: Wenn mein Chef weiß, was ich brauche und will, kann er mich viel leichter für Aufgaben einsetzen, die dann mit deutlich gestiegener Effizienz ausgeführt werden können. Noch mehr aber mein Partner: Wie wir im obigen Fallbeispiel deutlich feststellen konnten ist nach der Artikulation und der Umsetzung des Bedürfnisses von S. die Beziehung deutlich gewachsen und hat einen ganz neuen Level erreicht: Ohne die Öffnung von S. und auch seinen Mut, Dinge trotz großer Angst, die Beziehung dadurch zu gefährden, anzusprechen, hätte dieses Wachstum schlicht nicht stattgefunden! Und auch nicht die ganz neue Beziehungsqualität, die sich durch tiefen gegenseitigen Respekt, Tiefe, Transparenz und ganzheitliche Liebe auszeichnet. 

 

Natürlich gehen wir ein Risiko ein, wenn wir unsere Bedürfnisse aussprechen! Aber was ist die Alternative? Uns selbst nicht zu leben, ja vielleicht gar nicht erst zu finden? Unser Glück zu opfern? Unterdrückte Bedürfnisse haben einen hohen Preis: Nicht nur, dass sie und damit ein wichtiger Teil von uns selbst nicht gelebt werden, es wird auch zunehmend schwerer für uns, sie zu spüren oder überhaupt noch etwas zu spüren oder zu fühlen, wenn wir Teile von uns – von unserem Innersten! – nachhaltig und über einen längeren Zeitraum hinweg unterdrücken. Für mich ganz persönlich keine Alternative, auch wenn ich mir selbst heute manchmal noch schwertue, manches Bedürfnis meiner Frau gegenüber anzusprechen. Doch ich weiß, dass ich ihr sogar mit der Zu-MUT-ung meines Bedürfnisses einen Riesengefallen tue: Kann sie doch sich hier mit eigenen Verletzungen intensiv auseinandersetzen, die eventuell durch die Äußerung meines Bedürfnisses getriggert wer-den. 

Wie kommst Du nun Deinen Bedürfnissen auf die Schliche? 

 

Du findest bei den Übungen in unserem Arbeitsbuch konkrete Anleitungen. Wichtig ist, dass Du jeden Tag „übst“, praktisch trainierst Dir nahe zu sein, indem Du Deine Gefühle und Bedürfnisse mehrmals am Tag er-forschst. Das ist am Anfang mühsam und wird irgendwann zu einer sehr lieben Gewohnheit, die sich mit der Zeit und dem entsprechenden Training quasi automatisiert: Später wirst Dir und Deinen Bedürfnissen so nahe sein, dass Du sie jederzeit und in jeder Situation benennen kannst. Dann hast Du es geschafft und einen ganz wichtigen Schritt hin zum optimalen SelbstBEWUSST-sein getan! 

 

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