Erwachsen werden – warum eigentlich? Von Königen und Königinnen

 

Unser Klient S. findet Erwachsene langweilig. Sie seien angepasst, grau, spießig und hätten keinen Spaß im Leben. Er selbst findet sich ganz wunderbar, kleidet sich gerne bunt und auffällig und spricht mit jedem viel und über alles. Gleichzeitig will er allen helfen und berät jeden in seiner Umgebung, egal, ob derjenige will oder nicht. 

 

Beziehungen dienen primär seinem Wohlergehen. Natürlich spielt er gerne mit seinen Partnerinnen und ihre Kommunikation miteinander ist ganz überwiegend kindlich – infantil. Seine Bedürfnisse stehen im Mittel-punkt und damit seine jeweilige Partnerin die ihm erfüllt tritt er ganz stark in Vorleistung, erwartend, dass er anschließend die Rechnung präsentieren kann. 

 

Die Charakterstruktur von S. ist narzisstisch. Seinem Schattenkind weicht er in der Therapie stark aus und betont das spielerische; so zeigt er ein kaufsüchtiges Verhalten und besucht Seminare für Persönlichkeitsentwicklung quasi zweimal monatlich. Ziele oder Visionen gibt es für ihn nicht, er betont, dass er ganz stark in der Gegenwart lebt. Verantwortung zu übernehmen lehnt er ab und zieht einen ebenfalls kindlich geprägten Frauentyp an. 

 

Wir leben in einer juvenilen Gesellschaft. Jugend gilt per se – ganz im Unterscheid zu früheren Gesellschaften – als positiv und erstrebenswert und so mancher auf einem Mountain Bike radelnder Senior ist in seinem bunten Dress erst als Rentner erkennbar, wenn er seinen Helm abnimmt. Mütter begegnen ihren jugendlichen Töchtern mit Respekt und Anerkennung und lassen sich von ihnen in allen Lebenslagen beraten: „Sie sind ja so viel weiter als wir früher!“ führen sie aus und wünschen sich die Tochter als beste Freundin, mit der sie gerne in denselben Club zum tanzen geht und mit der sie sich jeden dritten Tag im Fitness Center trifft. Marketing und Werbung richten sich an jugendlichen Zielgruppen aus, egal, worum es bei dem Produkt geht, und verkaufen erfolgreich in alle Altersgruppen hinein. 

 

Erwachsen werden ist out. Verantwortung, lange Bindungen, Ehen, Familien sind nicht sexy und die Bereitschaft zu gehen, wenn es schwierig wird, ist heute höher denn je. Der nächste Partner – optimiert und genau analysiert – wartet ja schon bei Tinder oder ElitePartner und wird natürlich jetzt endlich der oder die Richtige sein. Endlich jemand, der auf meine Bedürfnisse wirklich eingeht! Der mich versteht und vollkommen und nur auf mich fokussiert ist! Der einfach für mich da ist, mit mir die Freizeit gestaltet und in den Urlaub fährt. Der nur Augen für mich hat und alle anderen Frauen bzw. Männer gar nicht mehr wahrnimmt. Kurz: Der perfekte Vater- bzw. Mutterersatz! 

 

Ich denke, hier wird schon deutlich, dass Beziehung so nicht funktionieren kann. Wenn der Partner das ersetzen soll, was mir in meiner Kindheit gefehlt hat, ist er heillos überfordert. Meine ganze Liebessehnsucht, mein tiefer Wunsch, angenommen zu werden wie ich bin, meine Sehnsucht nach einem Zuhause und Geborgenheit – wenn all das in der Kindheit kaum oder gar nicht befriedigt wurde, kannst heute nur DU SELBST das tun! Wenn wir mit diesen Wünschen in eine Partnerschaft hineingehen und diese Erwartungen an einen Partner stellen, muss unsere Beziehung notwendig scheitern. Zu Recht wird sich Dein Partner von Dir äußerlich oder auch nur innerlich zurückziehen, denn er fühlt sich letztlich benutzt von Dir. Benutzt, Dir tiefliegende Bedürfnisse zu erfüllen, die einst Deine Eltern hätten befriedigen sollen und die heute nur Du selbst erfüllen kannst: In Deiner persönlichen Arbeit mit Dir, Deinen Inneren Kindern, Instanzen und Deinem tiefliegenden Schmerzkörper, Deinem EGO. 

 

Gehen wir einen Schritt weiter. Du machst also Deine innere Arbeit, kümmerst Dich bestens um Dich selbst, hast Freude im Leben und lässt Dein Sonnenkind tanzen! So richtig Spaß macht Dein Leben und auch Dein Sonnenjugendlicher kommt nicht zu kurz. Weil Du weißt, was Du willst, findest Du den Partner, den Du wirklich heiß findest und begehrst. Ihr habt Spaß zusammen – auch im Bett – und die Freizeit ist ein einziges Happening. Ein wenig schwer tut Ihr Euch mit der Definition Eurer Beziehung und so lasst Ihr das Thema erst mal ganz aus. Alles scheint also in bester Ordnung zu sein. Oder? 

 

Wenn Ihr nicht MEHR voneinander wollt ist tatsächlich alles in Ordnung: Ihr seid in einer Jugendlichen – Beziehung. Allerdings werdet Ihr Euch weder persönlich noch gemeinsam weiterentwickeln; der nächste Entwicklungsschritt steht also an und der wäre der des Erwachsenen. Bitte erinnere Dich – es geht hier nicht um das biologische, sondern um das psychologische Alter. Und es geht dabei beileibe nicht um eine Abwertung! Es geht nur um ein ganz klares, bewertungsfreies Hin-schauen: Wo stehe ich? Wo möchte ich hin? Was will ich in meinem Leben wann realisieren? Was ist mir wirklich wichtig? Und mit wem will ich das alles tun? 

 

Diese Fragen sind schon die Fragen des Erwachsenen, der Verantwortung für sein eigenes Leben übernimmt und es aktiv gestalten möchte. Der weiß, dass er ohne Zielsetzung auch irgendwohin kommt, nur diesen Zielpunkt bestimmen dann andere. Dieser Erwachsene möchte aber die beste Version seiner selbst werden und er weiß, dazu gehört das aktive auswählen seiner Optionen, seiner Möglichkeiten. Er will sein Leben gestalten und es zu seinem persönlichen Meisterwerk machen! 

 

Was aber macht einen Erwachsenen eigentlich aus? 

 

Am besten beschreibt Paul Watzlawick (wie bereits erwähnt) den Erwachsenen: Demnach ist er der Kapitän auf einem Segelschiff. An Bord sind die Inneren Kinder, die Schutzinstanzen und – diese Erweiterung ist von uns – auch die Inneren Jugendlichen und Heranwachsenden. Zu allen unterhält der Kapitän eine aufmerksame, wertschätzende und liebevolle Grundhaltung. Allen leiht er sein Gehör und bringt Verständnis auf für deren Befindlichkeit und Aufgaben. Er versteht, wenn eine Instanz Angst hat loszulassen – schließlich lehnt sie sich weit über Bord, um das Schiff im Gleichgewicht zu halten! Die Instanz fürchtet, das Boot könnte kentern, wenn sie ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommt. Nun besteht die Rolle des Kapitäns darin, für die geleisteten Dienste zu danken und sie zu würdigen. Aber er hat auch die Aufgabe der Grenzsetzung nach Festlegung seiner (Lebens-)Ziele: Weil er, der Kapitän, Route und vor allem Ziel festlegt, bestimmt er auch den Kurs und setzt sich konsequent und strikt gegen einzelne Mitglieder seiner Mannschaft durch, die sich nicht „auf Kurs bringen“ lassen. Das tut er mit Bestimmtheit und Vehemenz, nachdem er mit Liebe und Aufmerksamkeit für Entspannung und Annahme gesorgt hat. 

 

Der Erwachsene übernimmt Verantwortung: Für sich selbst und für andere, die diese Verantwortung (noch oder zeitweise) nicht tragen können. Sein Wort gilt und er ist treu – zunächst und zuallererst sich selbst gegenüber. Er „weiß, was er will“, kann loslassen und ist dauerhaft bindungs-fähig und -willens. Der Erwachsene ist eine integrierte Persönlichkeit: Es gibt im Idealfall nichts, was er aus seinem Leben von sich weist, weder Personen noch Umstände. Er ist lernfähig und befragt jede Situation oder jeden Kontakt nach den Lernpotentialen, die sich darin verbergen mögen. In Diskussionen oder Auseinandersetzungen kann er die Sache von der Person trennen und ist gene-rell fähig, differenziert zu denken. Reines Schwarz-/Weiß Denken ist ihm fremd und er akzeptiert, dass das Leben jede Menge Zwischentöne kennt und es ein reines Gut und Böse nicht gibt.

 

Zuallererst versucht er zu verstehen und ist in der Lage, sich und seine Reaktionen zu kontrollieren, ohne seine Spontanität und Emotionalität dadurch einzuschränken. Er kann jederzeit gut für sich sorgen und balanciert die verschiedenen Lebensbereiche sorgfältig aus. Grenzen setzen und für sich einstehen sind für den Erwachsenen selbst-verständlich – er kann klar sagen, was er mag und was nicht. Natürlich kann er um Hilfe bitten, aber macht sich dabei niemals abhängig. Respekt für sich und andere werden von ihm gelebt und er behandelt Körper und Geist (Psychohygiene!) je-derzeit mit Liebe und Achtsamkeit. Er entwickelt eine eigene Ethik, eigene Werte, und übernimmt nicht einfach nur die Moral seiner Umgebung bzw. seiner Familie. Diese Ethik ist für den Erwachsenen so wichtig, dass er dafür bereit ist alles zu geben; sie steht jedenfalls weit über der Existenz seines EGOs. So wird er wirklich zum Herrn, zur Herrin, im eigenen Haus – er beherrscht sich SELBST (sein SELBST herrscht!) und seinen Ver-stand, der ein reiner Reiz – Reaktions – Mechanismus ist. 

 

Der Erwachsene – völlig unabhängig von seinem biologischen Alter – braucht noch etwas ganz Wichtiges, um diesen Reifegrad überhaupt erreichen zu können: Vergebung! Generell ist Vergebung eine der psychologischen Königsdisziplinen: Sie macht frei, unabhängig und handlungsfähig, befreit von Bindungen aus der Vergangenheit und ermöglicht eine Neubewertung des eigenen Lebens. Hier meine ich aber speziell Vergebung den Eltern gegenüber: Erst wenn wir sowohl Vater wie Mutter von Herzen vergeben haben werden wir wirklich frei! Frei auch, unser eigenes Leben zu leben, ja sogar erst in einem weiteren Sinne zu beginnen. Bis dahin bleiben wir Kind, das mit den Eltern emotional verknüpft ist und ihnen vorwirft, was sie getan oder auch nicht getan haben. Aus diesem Vorwurf heraus bleiben wir kindlich und jede Weiterentwicklung in den Erwachsenen - Level hinein bleibt aus. 

 

Es geht dabei nicht darum, im Nachhinein das Handeln der Eltern zu beschönigen. Sie haben getan, was sie getan haben. Mach Dir bitte aber dabei bewusst, dass sie tatsächlich ihr Bestes getan haben! Mehr war damals nicht möglich; sie waren ja selbst offensichtlich im Inneren noch Kind oder Jugendlicher. Sie haben die eigenen Verstrickungen in ihre Elternschaft mitgebracht, all das, was in den Generationen vor ihnen geschehen ist. All das, was nicht aufgearbeitet wurde, all das, was ihre eigenen Seelen zutiefst belastete. Vergib ihnen, mach Dich frei – für Dich! 

 

Noch ein kleiner Tipp dazu: Schreib ruhig mal einen Brief an Deine Mutter, an Deinen Vater. Sei darin ganz offen, drück brutal hart alles aus, was damals war, was Du ihnen vorwerfen kannst. Nimm kein Blatt vor den Mund! Sprich aus dem Mund des kleinen Jungen, des kleinen Mädchens, das Du einmal warst. Vertritt seine Interessen, verstehe – soweit Du das heute noch kannst – was damals war und wie Du das in den Tagen Deiner Kindheit empfunden hast. Schreib Dir alles von der Seele, wirklich alles, und nimm Dir dafür alle Zeit, die Du brauchst. Aber bitte: Schick diesen Brief nicht ab! Es geht um Dich, um Deine Arbeit mit Deinen Inneren Kindern – Deine Eltern können da jetzt nichts mehr tun! Im Gegenteil – in dem Du Dir (wieder) etwas von ihnen erhoffst gibst Du ihnen erneut Macht über Dein Leben und genau davon willst Du weg: Endlich eigene Verantwortung für das eigene Leben übernehmen, endlich Herr oder Herrin über das eigene Ge-schick zu sein – das darf jetzt Dein Ziel sein, wenn Du erfolgreich und nachhaltig Partnerschaft und (eigene) Familie leben willst! 

 

Ich möchte abschließen mit zwei sehr mächtigen Archetypen: Dem König und der Königin. Das sind die passenden Archetypen einer erwachsenen Partnerschaft! Sie verbinden im Optimalfall gegenseitiger Respekt, tiefe Liebe und die gute, sorgende Herrschaft über ihr gemeinsames Königreich. Sie erweisen sich Ehre und werden sich niemals erniedrigen – sich selbst nicht und den Partner ebenso wenig. Loyalität und Treue stehen auf ihrem Banner und jeder der beiden sorgt für seine eigene Würde und Stärke. Diese bekommt er dann vom Partner (und letztlich allen, denen er begegnet) gespiegelt, was ihre Beziehung stärkt und eventuellen Kindern Sicherheit und Geborgenheit vermittelt. Und auch das ist wahr: Ehre und respektiere Deine Königin, Deinen König, und ehre damit Dich selbst … 

Übung: 

 

Zeichne Dich selbst als König (Mann) oder Königin (Frau) und überlege Dir, welche Eigenschaften diese haben sollen. Überlege Dir anschließend, welche Eigenschaften Du hast und welche Du noch fördern möchtest. 

 

Für Singles: Male anschließend Dein Pendant, also das andere Geschlecht als König oder Königin. Male ganz unverblümt, wie Dein Traumpartner als König oder Königin aussehen soll. Überlege Dir anschließend, welche Eigenschaften er oder sie haben soll und schreibe auch das auf. 

 

Für Eheleute: Male Deinen König, Deine Königin. Nimm ruhig ein Bild von ihm oder ihr als Vorlage, ziehe ihnen aber die richtigen königlichen Ge-wänder an! Schreibe anschließend alle Eigenschaf-ten Deines Partners auf, die Dir oder anderen Respekt einflößen. 

 

Für Beide: Suche Dir ein Bild, das ein Königspaar zeigt und Dich emotional direkt anspricht. Geben ihm einen Ehrenplatz in Deinem Zuhause inkl. eines schönen, wertvollen Rahmens! 

 

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