Ein Plädoyer für die Liebe

 

Du wurdest verlassen in Deinem Leben und hast verlassen. Du lebst vielleicht heute in einer Beziehung, in der Du Dich fragst: „Und das soll es jetzt gewesen sein?“ In der Enttäuschung jeden Tag in Dir still wütet und Du bei Liebesfilmen feuchte Augen bekommst. Aber es ist die Liebe anderer, die Hollywood-Liebe, die Du für unerreichbar hältst und die auf jeden Fall ja wohl nichts für Dich ist. Oder der Trennungsschmerz ist noch ganz da und Du glaubst nicht daran, je wieder glücklich sein zu können! 

 

Ich kann es Dir so gut nachfühlen - mir ist das 2005 nach 13 gemeinsamen Jahren "passiert". Meine Frau hat mich damals mit unseren beiden Kindern verlassen und ist mit ihrem Abteilungsleiter zusammengezogen. Ich habe gelitten wie ein Hund. Erst nach anderthalb Jahren kam ich auf die Idee, dass das nicht nur was mit dem Verlassen-werden zu tun hat, sondern seine Wurzeln tief in mir waren. Ich habe dann eine Therapie gemacht und meinen bisherigen therapeutischen Ausbildungen zwei weitere hinzugefügt.

 

Im Rückblick kann ich sagen, dass dieses Verlassenwerden zu einem der wichtigsten und notwendigsten Erfahrungen meines Lebens gehört. Erst da, so ganz tief unten, bin ich wortwörtlich mir selbst begegnet, konnte ich das, was wahr und ehrlich war an mir, wieder aufsammeln und neu zusammensetzen. Genau hier habe ich mich „gefunden“, habe angefangen, Interessen zu leben, Neugierde umzusetzen und einfach ein Stück Jugend nachzuholen, die ich viel zu früh für ein scheinbares Erwachsen-sein aufgegeben hatte. Ich begann, mich tätowieren zu lassen, Festivals und Konzerte zu besuchen, meinen Rollenspieltrieb auf Mittelaltermärkten auszutoben und frei, offen und wild zu lieben. Stellenweise hatte ich mehrere offene Beziehungen nebeneinander, einige Freundschaft-Plus Erfahrungen, besuchte ich BDSM Partys und einen Swinger Club, erfüllte mir den Traum, mit sehr schönen aufregenden Frauen zusammen zu sein, machte die Erfahrung mit sehr viel jüngeren und manchmal auch älteren Partnerinnen und kam mir und meinen Liebeswünschen immer näher. Bis ich schließlich den Mut fand, sie ganz und gar und authentisch zu leben! 

 

Der Lebensmittelpunkt, den ich für mich damals fand und der sich dann auch beruflich nieder-schlug, war LIEBE. Und zwar die erotische Liebe zwischen Mann und Frau in Partnerschaft und Sexualität. Mir wurde klar, wen ich an meiner Seite haben wollte, auf welche Weise ich mich für eine solche Frau entscheiden möchte (Gefühl! Nur – Gefühl!) und in welcher Form ich mit ihr zusammenleben und lieben mag. Und je mehr ich mich selbst zu lieben und anzunehmen begann desto mehr kamen die Frauen zu mir: Es reichte vollkommen ihnen zu sagen, was ich wollte (sie! Immer persönlich, nie auf irgendetwas reduziert) und sie kamen: Weil ich klar, authentisch und greifbar war! Sie konnten mich sehen, spüren und dann erleben. Ich verließ meinen Schutzbereich mehr und mehr und damit kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt, wenn Du Beziehung (wieder) in ihrer Fülle und all ihren Möglichkeiten erleben willst: 

 

Verletzbar bleiben oder neu werden! 

 

Gerade nach voraus gegangenen Erfahrungen in Liebe und Partnerschaft treten die meisten Menschen den Gang in die nächste Beziehung mit einer gewaltig hohen Schutzmauer an. Klar, sie wollen nicht wieder verletzt werden! Die Erfahrungen aus alten Beziehungen stecken ihnen ja noch in den Knochen und das wollen sie auf alle Fälle vermeiden. Unbewusst entwickeln wir Strategien, um diese so gefährliche Nähe nicht wirklich erleben zu müssen. Wie wir weiter oben gesehen haben kann das ganz harmlos aussehen, zeigt sich aber letztlich immer darin, dass verbindliche Beziehung einfach nicht funktioniert oder überhaupt erst an den Start geht. Die Gründe sind immer gut nachvollziehbar und fühlen sich auch für die Betroffenen gar nicht schlecht an: Man hat ja sein erfülltes Leben, Freunde, Hobbies und einen ganz guten Beruf! Nur diese Leere an den Sonntagabenden oder im Jahresurlaub ist komisch und wenn dann der Kollege das Bild von seinem Neu-geborenen zeigt wird einem ganz schön mulmig … 

 

Ja, Liebe kann weh tun. Ja, Liebe kann Dich verletzen. Und triggern ohne Ende, herausfordern, Dich aus Deiner Komfort- / Angstzone treiben und auf die sprichwörtliche Palme bringen! Und doch bedeutet sie Leben, Fülle, Wachstum (manchmal sogar ihre destruktive Variante, wenn Du Dich drauf einlässt), Spiritualität und Erkenntnis Deiner Selbst. Nicht umsonst haben Leben und Liebe so viel miteinander zu tun – nicht nur vom Wortstamm her: Auf dem Totenbett nach ihrem Leben befragt äußern Sterbende nicht, dass sie zu oft zu viel geliebt hatten, sondern das genaue Gegenteil: Dass sie zu oft zu viel auf Sicherheit und Vernunft statt Gefühl gegeben hatten (siehe hierzu „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden“ 20. April 2015, von Bronnie Ware, einer australischen Krankenschwester, die Sterbende in einem Hospiz begleitet hatte). Dass sie manche Liebe haben gehen lassen: Aus Angst, aus dem Wunsch nach Anerkennung seitens der Familie oder der Freunde, manchmal „der Gesellschaft“, aus rationalen Überlegungen oder der Bevorzugung anderer Kriterien wie Erfolg oder Beruf. Und immer bereuten sie es, leider dann zu spät für eine Änderung. 

 

Deswegen plädiere ich in Sachen Liebe für Risiko. Immer wieder, ohne Rücksicht. Du kannst nie verlieren, Du kannst nur gewinnen! Wenn … Ja, wenn Du gleichzeitig die Selbstliebe förderst, die Nähe zu Dir selbst, das Bewusstsein Deiner eigenen Transzendenz. Dann kann Dir jede Liebe, die Du eingehst - oder besser wagst – nutzen, dienen, Dich weiterbringen. Keine wird vergeudet sein, keine wird wirklich eine Erfahrung sein, die „umsonst“ oder „schädlich“ war. 

 

Nur mach Dir bitte auch klar: Liebe kostet Kraft. Vielleicht sogar ein Stückchen Seele, jedes Mal wieder. Und jeder Mensch – außer er geht in einer totalen Katastrophe – bleibt Dir in Deinem Herzen und die Liebe zu ihm ebenso. Deswegen gehe vor-sichtig mit Deiner Liebe um, nachdem Du in Deiner jugendlichen Experimentierphase Deine Erfahrungen gemacht hast. Mach Dir immer wieder neu bewusst, was und wen Du wirklich willst und hol es Dir in Dein Leben! Du hast es Dir verdient, zu lieben – wirklich zu lieben! – und dann auch geliebt zu werden. Warum? Weil Dein Höheres Selbst Liebe ist, reine Liebe, und hier ist, um zu lieben und Liebe zu erfahren. Und wenn das bis jetzt noch nicht der Fall war? Kein Problem, dann hat Dich alles in Deinem Leben hier zu diesem Punkt geführt, hat Dich alles gelehrt und vorbereitet und dann ist es nun wirklich soweit – wenn Du es zulässt! 

 

Jetzt wünsche ich Dir allen Segen und den MUT zur Liebe! Geh raus, mach Dein Ding und lebe die Liebe – DEINE Liebe! – mit allen Fasern Deines Herzens und Deiner Seele. Du kannst es, wenn Du es wirklich willst, und wenn Du bereit bist, offen und verletzbar zu sein und mehr wie ein Fluss als wie ein Stein. Du brauchst kein Fels in der Brandung zu sein – DU kannst der Fluss sein, der sich sicher, frei und ohne sich von Widerständen hemmen zu lassen, in seinem Bett hin bewegt zum Meer. Darf ich Dir davon noch eine letzte Geschichte erzählen und Dich dann damit entlassen in Dein Leben, Deine Liebe und Deine Erfüllung? 

 

Es war einmal ein kleiner Bach. Lange war er schon durch das Land geflossen, wurde vom Rinnsal zum Bächlein und dann zum Bach. Er hatte Wälder durchquert, war über Wiesen geflossen, durch dunkle Täler und helle sonnige Flussauen. Schwierigkeiten hatte er bisher mühelos gemeistert, war immer selbstsicherer geworden und nahm zu an Wassermenge und -kraft. Er wusste nicht, wohin die Reise letztlich ging, nahm immer den leichtesten, offensichtlichsten Weg, und war zufrieden, wie alles lief.

 

Eines Tages durchquerte er eine Steppe und die Vegetation wurde immer spärlicher. Der kleine Bach, der jetzt gar nicht mehr so klein war, begann sich Sorgen zu machen. Von Tag zu Tag wurde es heißer und die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Der Bach verlor Wasser und er spürte, wie seine mächtige Kraft nachließ. Aber was konnte schon passieren? Irgendwann musste diese Steppe ja aufhören!

 

Das tat sie alsbald tatsächlich und wurde zur Wüste. Der Bach bekam einen Riesenschreck! Es wurde also noch schlimmer – wie sollte er da bloß durchkommen? Würde er das schaffen, ohne zuvor ganz zu versiegen? 

 

Er konnte nicht anders und machte sich auf den Weg in die Wüste. Schnell verlor er immer mehr Wasser und ganz zum Schluss war er wieder nur noch ein Rinnsal. Und auch das verdunstete zusehends und der Bach bekam eine richtige Todesangst! Sollte er vergehen, einfach nicht mehr sein? Sollte das Bild eines mächtigen, reißenden Flusses, das er sich von sich selbst in der Zukunft gemacht hatte, nie eintreffen? 

 

Irgendwann gab er auf. Er hatte keine Kraft mehr, keine Hoffnung und die Wüste nahm einfach kein Ende. Die letzten Wassertropfen verdunsteten und bildeten schließlich ganz weit über der Wüste eine kleine, hauchzarte Wolke. Sie war fast durchscheinend, so dass die Sonnenstrahlen einfach durch sie hindurch gingen und keinen weiteren der letzten verbliebenen Wassertropfen gefährdeten. Und sie war schnell: Obwohl es hier so hoch über der Wüste nur selten ein bisschen Wind gab brauchte sie doch nur drei Tage, bis sie schließlich die Wüste überquert hatte. Was sie gar nicht zu hoffen gewagt hatte, als die Wolke noch ein kleiner Bach war, trat ein: Sie erreichte das große Meer, von dem sie immer nur gehört hatte und das sie fast für ein Märchen, eine Legende hielt! Und es war riesig und kein Ende des vielen Wassers war zu sehen und die Wolke wusste, sie war zu Hause angekommen. 

 

Sie flog ein wenig auf das große Meer hinaus und dann, eines Tages, begann sie sich in das Meer zu ergießen und regnete all ihr Wasser, das der kleine Bach noch so weit in die Wüste hineingetragen hatte, über das große weite Meer hinab. Und sie war glücklich und wurde Teil von etwas viel Größerem, das keine Angst mehr hatte und keine Grenzen mehr brauchte. Der kleine Bach, der zur kleinen Wolke wurde, war Teil des großen, endlosen Meeres geworden. 

 

 

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