Beziehung um jeden Preis? Bis wann es sich lohnt zu „kämpfen“

 

Ich lernte R. in München kennen, ein Jahr, bevor ich dort mein Studium aufnahm. Im gleichen Jahr zogen wir zusammen, heirateten ein Jahr später und noch zwei Jahre danach kam unsere Tochter zur Welt. Die kleine Familie schien perfekt, das Liebesglück auch. Wir galten als Traumpaar und in den meisten Teilen unserer Ehe galt das auch für mich. R. war definitiv aus damaliger Sicht die große Liebe meines Lebens, obwohl es bereits ein Jahr nach der Geburt unserer Tochter eine Trennung gab und R. mitsamt unserer Tochter auszog. Wir kamen wieder zusammen und später bekamen wir noch ein Kind, einen Jungen. Zwei Jahre später waren wir in unserer Beziehungsendstufe (siehe weiter unten), gingen beide relativ zeitgleich fremd und trennten uns schließlich nach 12 Jahren. 

 

Es geht hier nicht darum, warum meine erste Ehe scheiterte oder – wie ich es weit lieber ausdrücke – warum sie nach sehr glücklichen und weniger glücklichen Zeiten endete. Was danach kam ist viel interessanter: Ich begann um unsere Ehe zu kämpfen. Viel zu spät, aber das wusste ich damals nicht. R. war bereits mit ihrem Freund und späteren Ehemann mitsamt unseren Kindern zusammengezogen als ich ihr noch Liebesbriefchen schrieb, Treffen initiierte und eine Mediation mit ihr begann in der Hoffnung, dass wir wieder ein Paar würden. 

 

Ich brauchte ein Jahr bis ich wieder anfing selbst zu leben. Eine Therapie und weitere therapeutische Ausbildungen später akzeptierte ich die Trennung und übernahm die Verantwortung für meinen Anteil an ihr. Diese Zeit war hart, aber ich weiß, dass sie eine der wichtigsten Entwicklungs-schritte in meinem Leben einläutete und über einen längeren Zeitraum begleitete. Und heute weiß ich, dass es keinen Sinn macht zu kämpfen: Los-lassen macht Sinn, sich intensiv mit sich selbst und seinem Leben zu beschäftigen macht Sinn, seine eigenen Hausaufgaben zu machen macht Sinn. 

 

Aber wie kann es so weit kommen, dass eine Ehe scheitert? Wie kann ich die „Todsünden in Beziehungen“ (nach einem Test von John Godman an Paaren) vermeiden und welche Faktoren wirken sich so negativ auf Beziehungen aus, dass sich Paare trennen? 

 

Es sind genau diese fünf Faktoren, die Paare in eine Trennung führen: 

  • Kritik
  • Abwehr
  • Verachtung
  • Rechtfertigung
  • Mauern

In der Endstufe können wir einen Kreislauf aus Kritik und Abwehr beobachten: Immer wieder dieselbe Kritik, immer wieder die gleiche Abwehr, teilweise neue Argumente, aber die machen nicht wirklich eine Veränderung aus. Es ist eine ewige Diskussion und die Themen kreisen um oberflächliches, zeigen nicht die darunter liegenden verletzten kleinen Kinder der Protagonisten, zeigen nicht die emotionale Verzweiflung und Einsamkeit der Streitenden. Ohne Hilfe von außen ist da kaum rauszukommen und die Hilfe sollte professionell sein und dem Paar wirkungsvolle und effektive Tools an die Hände geben. Vor allem aber sollte sie es beiden ermöglichen, zunächst einmal die Konzentration wieder auf sich selbst zur richten! Deswegen trenne ich in der Paarberatung nach der ersten gemeinsamen Sitzung zu dritt die Partner und arbeite anschließend mit jedem einzelnen weiter. Dabei liegt der Fokus ganz auf dem je individuellen Schmerz und wir schauen uns an, wo dieser Schmerz herkommt, wo seine Wurzeln liegen und gehen von dort aus die Heilung an. In dieser Zeit ist es ganz wichtig, dass die Partner den Fokus weg von der Beziehung und hin zu sich selbst legen; die Beziehung selbst ist in den aller-meisten Fällen nicht „schlecht“ oder „krank“, sondern einfach nicht länger in der Lage, die verletzten Inneren Kinder der beiden Partner zu (er)tragen! 

 

Was ist denn nun im Gegenzug für die funktionierende Beziehung demnach wichtig? Vor allem gemeinsame Werte, die Träume und Visionen und deren Verwirklichung ermöglichen, aber auch Unterschiede, die für Spannung und Abwechslung sorgen und das Fundament für Leidenschaft dar-stellen. Daraus resultieren die zwei wichtigsten Ebenen Freundschaft und Sex: Innerlich wie äußerlich keinem anderen Menschen so nahe sein wie dem Partner (nein, auch der besten Freundin / dem besten Freund gegenüber nicht!) und diese Nähe auch im Laufe der Zeit und auch angesichts vieler gegenseitiger „Verletzungen“ (erinnere Dich bitte: Dein Schattenkind wird durch irgendetwas, was der Partner tut, getriggert!) aufrecht-erhalten und immer wieder neu beleben. Einfach? Sicher nicht! Aber denke bitte daran: Eine Ehe wird ganz von alleine schlechter, dafür musst Du einfach gar nichts tun! 

 

Gibt es auch destruktive Beziehungstypen, die ich auf jeden Fall vermeiden sollte? Die so toxisch auf mich, mein Selbstwertgefühl und mein Leben wirken, dass nur eine Trennung – möglichst frühzeitig – in Frage kommt? 

 

Einen Persönlichkeitstypus möchte ich hier auf jeden Fall stellvertretend herausgreifen, weil er einfach sehr häufig vorkommt und oft ein Feld der seelischen Verwüstung hinterlässt: Den Narzissten. Dabei sprechen wir hier nicht von dem klassischen psychopathologischen Erscheinungsbild, sondern meinen einen EGO – zentrierten Menschen, der in seiner Kindheit eine Ambivalenz von zu nahen mütterlichen (Sohn) bzw. väterlichen (Tochter) Emotionen erfahren hat bei gleichzeitiger Vernachlässigung und dem häufigen Liebesentzug aus für das Kind nicht nachvollziehbaren Gründen. In der Regel bleibt dieser Typus in seiner Entwicklung im Jugendlichen – Status stehen und entwickelt sich ab da nicht weiter. Gefühle der Überlegenheit und der „Besonderheit“ wechseln sich ab mit tiefen Minderwertigkeitsgefühlen und der zumindest anfänglich zu beobachtenden Unfähigkeit in sozialen Gruppen konstruktiv zu interagieren. Von Anfang an ist eine regelrechte Sucht nach Nähe zum anderen Geschlecht und nach sexuellen Handlungen festzustellen. Und tatsächlich sucht der Narzisst Nähe – körperlich und seelisch -, die weit über den Durchschnitt hinausgeht. Nur hält er sie dann nicht aus und flieht vor ihr immer und immer wieder. Daraus ergibt sich das zu beobachtende Muster der „ON“ und „OFFs“ in teilweise auch langjährigen Beziehungen. 

 

Woran erkennst Du einen Narzissten? 

  • Er kann unglaublich gewinnend sein. Das ist sein Trainingsprogramm: Ausgehend von dem tiefen inneren Glauben, einfach überhaupt gar nichts wert zu sein hat er gelernt, sich zu „verkaufen“ – und das macht er höllisch gut! 
  • Er schmeißt Dich in ein Wechselbad der Gefühle: In einem Moment fühlst Du Dich geliebt, geborgen und als der wunderschönste Mensch auf der Welt. Im anderen Moment vermittelt Dir der Narzisst, dass Du eigentlich nicht viel wert bist, alles falsch machst, nicht zu ihm passt und nicht auf seinem Level stehst. 
  • Er behandelt Dich gerade auch in der Öffentlichkeit weder mit Respekt noch zeigt er gerne, dass ihr zusammengehört. Und dann wieder andersherum: Er ist super eifersüchtig, vergrault Dir Deine Freunde, sogar Deine Familie, und baut ein exklusives Setting auf: „Wir zwei gegen den Rest der Welt.“ 
  • Dein Selbstwertgefühl nimmt rapide ab und ist nach einer gewissen Zeit nur noch in Bruchstücken vorhanden. Persönliches Wachstum wird unmöglich und vom Narzissten auch aktiv verhindert. 
  • Der Narzisst hat ein sehr eigenes Weltbild, das er Dir aktiv und manipulativ „aufs Auge drückt“. Er lässt da keine Abweichungen zu und setzt Dich aktiv herab, wenn Du Einwände äußerst. 
  • Er reagiert aggressiv und verletzend, wenn Du nicht nach seinen Vorstellungen handelst. 
  • Sachlich vorgetragene Einwände nimmt er persönlich und reagiert beleidigt.
  • Du selbst stellst an Dir eine zunehmende Konfusion fest und weißt nicht mehr, was eigentlich richtig und wichtig ist. 
  • Wenn Du Dich trennen möchtest, weil Du einfach nicht mehr kannst, wird der Narzisst in Panik verfallen! Er verspricht Dir ALLES, will sich ändern, wird Deinen Wunsch nach Trennung und Distanz nicht aushalten können. In schweren Fällen kommt es zu Androhungen oder auch versuchten suizidalen Handlungen oder anderweitig autoaggressivem Verhalten. 
  • Der Narzisst glaubt der einzige zu sein, der Dinge beurteilen kann. Er meint, im Besitz der „allein seligmachenden Wahrheit“ zu sein und alles unterliegt seinen Beurteilungen. Auch Du. 
  • Er fühlt sich im Grunde innerlich vollkommen leer. Diese Leere füllt er durch die verschiedensten Dinge und zeigt darin auch suchthaftes Verhalten. 

Eine Therapie hilft nach meiner Erfahrung nur, wenn der Narzisst einen erheblichen Leidensdruck erfährt, zumeist nach einer traumatischen Trennung. Innerhalb einer Beziehung ist der Narzisst dazu kaum bereit, da die Beziehung ihn ja stabilisiert und ihm dadurch die Möglichkeit gibt, einfach weiter zu machen, ohne eine Änderung herbeizuführen, die wirklich eine Änderung ausmacht. 

 

Was kannst DU also tun, wenn Du entdeckst, dass Du mit einem Narzissten eine Beziehung führst oder immer wieder an diesen Menschentyp gerätst? 

 

Bitte versuche zu ergründen, warum das passiert. Hierbei kann professionelle Hilfe erforderlich werden. Oft sind es alte Familiensysteme, die hier ihre destruktive Kraft entfalten; oft auch ein tiefes Gefühl der eigenen Minderwertigkeit. Mach Dir bitte bewusst: Ein „guter“ Partner ist ein gesunder Partner, der sich selbst mag, annimmt und kontinuierlich die Bereitschaft zur eigenen (nicht nur zu Deiner!) Weiterentwicklung / Persönlichkeitsentwicklung hat. Dieser Partner ist in der Lage Dich positiv zu sehen und die Dinge, die ihm begegnen, von einer sachlichen Ebene aus zu betrachten. 

 

 

Photo by Roma Kaiuk on Unsplash

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